Plenarrede vom 25.05.2023
31. Mai 2023Der KulturPass ist da!
20. Juni 2023Rede in der Aktuellen Stunde vom 25.05.2023
Für ein modernes Einwanderungsland!
Gülistan Yüksel (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie Ihren deutschen Pass abgeben müssten, wenn Sie Ihre Identität quasi verleugnen müssten, damit Sie in Ihrer neuen Heimat, in der Sie seit 30, 40, 50 Jahren leben, arbeiten, Ihre Familie großziehen, dazugehören können, damit Sie endlich mitbestimmen und teilhaben können an der Gesellschaft?
(Mike Moncsek [AfD]: Das musste jeder DDR-Bürger! Jeder musste das!)
Ich kann Ihnen genau sagen, wie es sich anfühlt, nicht dazuzugehören, nicht mitentscheiden zu können. Ich war Mitte dreißig, als ich das erste Mal in meinem Leben wählen durfte. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits 25 Jahre in Deutschland gelebt, hatte gearbeitet und mich ehrenamtlich engagiert. Deutschland war längst zu meiner Heimat geworden; aber offiziell gehörte ich nicht ganz dazu. Mir fehlte die deutsche Staatsbürgerschaft. Das Gefühl, als ich endlich meinen deutschen Pass in den Händen hatte und danach das erste Mal wählen durfte, kann ich nicht in Worte fassen.
Der deutsche Pass ist eine Identität, ein Gefühl der Zugehörigkeit, und er ist die Eintrittskarte, um an der Gesellschaft teilhaben zu können – mit allen Rechten und Pflichten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Obwohl ich erst so spät deutsche Staatsbürgerin wurde, hatte ich persönlich großes Glück. Als ich mit acht Jahren als Tochter eines Gastarbeiters in Deutschland in die Schule kam, sprach ich kein Wort Deutsch. Ich erinnere mich noch sehr gut an meinen ersten Schultag und besonders an meinen Lehrer. Zwar verstand ich die Sprache nicht, aber ich verstand das Gefühl, das er mir vermittelt hat: Es war das Zugehörigkeitsgefühl, das Gefühl, Teil der Klassengemeinschaft zu sein, und dafür bin ich ihm bis heute sehr dankbar.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Mit unserer Reform des Staatsangehörigkeitsrechts machen wir als Ampelkoalition etwas Ähnliches wie mein Klassenlehrer: Wir tragen dazu bei, dass sich Menschen hier willkommen fühlen. Wir ermöglichen eine gleichberechtigte Teilhabe, und wir stärken den Zusam- menhalt in unserem Land. Die Union hat hier viele Jahre blockiert und will auch heute noch mit Falschbehauptungen Ängste schüren. Aber wir sorgen nun endlich dafür, dass die vielen Menschen, die seit Jahren hier ihre Heimat gefunden haben, auch endlich Teil dieser Gesellschaft werden. Denn mit meiner Lebensgeschichte und meinen Erfahrungen bin ich längst nicht allein.
Ende 2021 lebten 10,7 Millionen Menschen in Deutschland ohne die deutsche Staatsbürgerschaft. Mehr als die Hälfte von ihnen lebte seit über einem Jahrzehnt in Deutschland. Wir wollen diesen Menschen die deutsche Staatsangehörigkeit nicht mehr unnötig lange vorenthalten.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Wenn die Kriterien des Einbürgerungsrechts erfüllt sind, können sie zukünftig schneller den deutschen Pass bekommen. Die Möglichkeit einer schnelleren Einbürgerung fördert die Zugehörigkeit und damit die Integrationschancen. Das bestätigt nicht nur mein persönlicher Eindruck, sondern wurde auch vom ifo-Zentrum für Arbeitsmarkt- und Bevölkerungsökonomik nachgewiesen.
Außerdem wollen wir endlich die Mehrstaatigkeit ermöglichen, unabhängig vom Herkunftsland. Die Mehrstaatigkeit ist in Deutschland bei bestimmten Herkunftsländern schon Normalfall – das ist heute schon mehrmals angeklungen; die Mehrstaatenquote bei Einbürgerungen lag sogar bei fast 70 Prozent –; aber eben längst nicht bei allen. So schaffen wir Gerechtigkeit und zwingen niemanden mehr, seinen Pass und einen Teil seiner Identität aufzugeben. Natürlich gilt diese Mehrstaatigkeit dann auch für im Ausland lebende Deutsche. Sie müssen ihren deutschen Pass dann nicht mehr abgeben, wenn sie eine ausländische Staatsangehörigkeit annehmen. Damit erkennen wir endlich die Lebensrealität vieler Menschen an.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen mit dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht auch die Hürden für die Einbürgerung der Gastarbeitergeneration senken. Sie kamen in den 60er-Jahren nach Deutschland und hatten damals keine Sprachkurs- oder Integrationsangebote. Sie kamen her, um zu arbeiten und den Wohlstand unseres Landes mitaufzubauen. Wir wollen auch diese Lebensleistung anerkennen und wertschätzen. Deshalb ist es richtig, dass wir für diese Generation die Einbürgerungshürden senken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der überfälligen Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zeigen wir, dass wir die Menschen nicht vergessen, die schon länger in Deutschland leben und einen bedeutenden Teil unserer Gesellschaft ausmachen.
Ich bin mir sicher: Wir alle hätten uns in meiner damaligen Klasse sehr willkommen gefühlt. Also sorgen wir gemeinsam dafür, dass dieses Willkommensgefühl auch in die Gesellschaft hier in Deutschland getragen wird! Ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht ist hierfür der Schlüssel.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)